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Olympiasiegerin Spitz "Blutwerte sind für mich keine Intimsphäre"

Sie ist Olympiasiegerin und Verfechterin eines harten Anti-Doping-Kampfes. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE spricht Mountainbikerin Sabine Spitz über nötige Opfer, Blutwerte im Internet, die ungenutzte Macht des IOC - und die Dopingmentalität der Kollegen von der Straße.

SPIEGEL ONLINE: Frau Spitz, viele Ihrer Kollegen im deutschen Leistungssport sind sauer. Grund sind die Meldepflichten im neuen Wada-Code (siehe Infokasten), der seit Anfang des Jahres gilt. Können Sie die Empörung verstehen?

Olympiasiegerin Spitz (in Peking 2008): "Wir werden uns immer für Erfolg rechtfertigen müssen"

Olympiasiegerin Spitz (in Peking 2008): "Wir werden uns immer für Erfolg rechtfertigen müssen"

Foto: REUTERS

Spitz: Nein, gar nicht. Für die sauberen Sportler ist die gängige Praxis doch ein Vorteil: Die Chancen, Betrüger zu entlarven, vergrößern sich dadurch. Die Regelung dient dazu, die sauberen Sportler zu schützen. Außerdem muss ich nicht alles drei Monate im Voraus offen legen. Wenn ich Termine nicht kenne, gebe ich meine Heimadresse an und ändere die Angaben zeitnah. Ich kann noch am Abend vorher für den bestimmten Tag einen neuen Ort angeben, an dem ich anzutreffen bin.

SPIEGEL ONLINE: Dennoch muss jeder Athlet nun für eine Stunde am Tag seinen Aufenthaltsort angeben – und mit harten Sanktionen rechnen, wenn er nicht anzutreffen ist.

Spitz: Es ist mehr Aufwand, ja. Die neue Regel macht die Meldungen schwerer. Aber es hat sich doch eigentlich nichts geändert. Wo wir anzutreffen sind, melden wir schon seit Jahren. Und natürlich müssen wir auch wie bisher in den restlichen 23 Stunden mit Kontrollen rechnen. Auch da gibt es noch Fehlinterpretationen in der Szene. So kann zehn Stunden nach einer Kontrolle wieder ein Kontrolleur vor der Tür stehen.

SPIEGEL ONLINE: Was für ein funktionierendes Anti-Doping-System unerlässlich ist ...

Spitz: Genau. Man muss auch zwischendrin kontrollieren, da manche Stoffe, die eine so niedrige Nachweisbarkeitszeit haben, nicht zu entdecken wären. Sonst wäre es ja möglich, am Montag die Stunde von 6 bis 7 Uhr anzugeben und Dienstags von 22 bis 23 Uhr. Nach der Kontrollstunde montags könnte ich sonst Dopingmittel zu mir nehmen, die Dienstagabend schon nicht mehr nachzuweisen sind. Für einen sauberen Sport muss der Athlet Opfer bringen.

SPIEGEL ONLINE: Reichen Kontrollen allein aus?

Spitz: Nein. Letztendlich müssten die Kontrolleure auch privatdetektivische Fähigkeiten entwickeln und aufgrund von Verdachtsmomenten Athleten auch mal auflauern. Inwieweit das juristisch umzusetzen ist, weiß ich nicht. Aber ich hatte auch schon Verdachtsmomente und dachte, da muss doch mehr gemacht werden können. Mit intelligenten Kontrollen kann eigentlich sehr viel erreicht werden.

SPIEGEL ONLINE: Aber?

Spitz: Es ist paradox, wie viel Geld in den Anti-Doping-Kampf gesteckt wird. Kontrollen sind ja noch keine Prävention. Das sind Gelder, die einfach weg sind. Ein Drittel des Budgets des Radsport-Weltverbandes geht für Kontrollen drauf. Ist es nicht möglich, mehr Geld in die Prävention zu stecken, die heranwachsenden Athleten mental stärker zu machen? Wenn ein Athlet vom betreuenden Umfeld gesagt bekommt, dass er nur mit den körperlichen Voraussetzungen allein nie Weltspitze sein kann, wird ihm doch suggeriert, dass man es ohne Doping nie bis ganz nach oben schaffen kann.

SPIEGEL ONLINE: Brauchen die Verbände mehr Druck?

Spitz: Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hat ja eine sehr große Machtposition. Der Olympische Sport müsste den Verbänden Pflichten auferlegen: Nachweise über die Aufenthalts-Meldepflicht und die Zusammenarbeit mit den zuständigen Institutionen - oder die Sportart ist nicht mehr olympisch. Ich finde es schon merkwürdig, dass bei den Olympischen Spielen nicht einmal die Hälfte der teilnehmenden Staaten die Melde-Vorschriften befolgt. Da muss ich mich auch fragen: Warum wird das alles akzeptiert, wenn man sich doch eigentlich dem Kampf gegen Doping verpflichtet hat?

SPIEGEL ONLINE: So entsteht bei den Sportlern aus Ländern mit strengem Anti-Dopingkampf der Eindruck, alles bliebe an ihnen hängen.

Spitz: Genau.

SPIEGEL ONLINE: Aber was ist die Rechtfertigung für ein derart offen dokumentiertes Leben?

Spitz: Der Schutz sauberer Sportler und Glaubwürdigkeit. Wir Sportler leben doch unter einem gewissen Generalverdacht. Das ist traurig, es ist aber nun einmal so. Das Thema Doping wird wohl immer präsent bleiben und wir werden uns immer auch für Erfolg rechtfertigen müssen. Auch bei der Pressekonferenz nach dem Olympiasieg kam die Frage nach Doping. Das ist das Los.

SPIEGEL ONLINE: Experten fordern die Offenlegung der Blutwerte im Internet. Das stößt bei vielen Sportlern auf Entsetzen.

Spitz: Die Frage ist, ob das wirklich etwas bringen würde bzw. ob diese Werte dann auch real sind. Ansonsten sehe ich das unproblematisch. Was können andere aus meinen Blutwerten ziehen, die ich im Internet veröffentliche? Was ist daran verwerflich? Ich hätte grundsätzlich kein Problem zu versuchen, damit auch ohne Verdacht meine Unschuld zu beweisen. Blutwerte sind für mich keine Intimsphäre.

SPIEGEL ONLINE: Der Generalverdacht gilt besonders im Radsport.

Spitz: Generalverdacht ist nie gut und richtig und so allgemein auf Radsport bezogen schon gar nicht. Wenn, dann müsste man es auf den Straßenradsport der Männer eingrenzen, wo es einem mittlerweile schwer fällt was anderes zu glauben. Aber auch im Straßenrad gibt es Sportler, die sagen: 'Ich mache das nicht mit und konzentriere mich auf Eintagesrennen.' Ich glaube, auch ohne Doping ist es möglich, einzelne Etappen oder Tagesrennen auf der Straße zu gewinnen.

SPIEGEL ONLINE: Im Mittelpunkt des Interesses stehen doch aber die großen Rundfahrten.

Spitz: Und genau dort muss man kritisch hinterfragen, ob solche extremen Leistungen ohne Doping überhaupt möglich sind. In der Vergangenheit war jedoch das Gegenteil der Fall: Man hat die Sieger vergöttert.

SPIEGEL ONLINE: Und bei den Mountainbikern?

Spitz: Ich habe immer die Unterschiede zum Straßenradsport hervorgehoben. Man darf nicht alles über einen Kamm scheren. Das Anforderungsprofil im Mountainbikesport ist wesentlichen komplexer als auf der Straße. Neben Kraft und Kondition sind Mut und Fahrtechnik wichtige Erfolgsfaktoren. Das konnte man glaube ich, bei meinem Rennen in Peking schön verfolgen. Ausserdem haben wir im Mountainbikesport eine andere Mentalität.

SPIEGEL ONLINE: Inwiefern?

Spitz: Wir hatten in unserem Sport leider auch einzelne Dopingsünder. Die waren nach ihrer abgesessenen Strafe im Fahrerfeld jedoch geächtet und wurden nicht mehr in die Mountainbike-Familie aufgenommen. Im Straßenradsport klopft man denen jedoch auf die Schulter und sagt: "Herzlich willkommen!" Das ist ein Kernproblem des Sports - zusammen mit Altlasten wie den ehemaligen Rennfahrern, die jetzt als sportliche Leiter und Funktionäre die Manipulations-Maschinerie am Laufen halten.

SPIEGEL ONLINE: Sie klingen desillusioniert. Wären Sie vielleicht vor 20 Jahren mit ihrem Olympiasieg glücklicher gewesen? In einer Zeit, als Doping noch eine wesentlich kleinere Rolle spielte.

Spitz: Nein im Gegenteil. Ich konnte mir einen Traum erfüllen und habe gezeigt, dass man auch ohne Doping erfolgreich sein kann. Eine bessere Zeit für diese Message gab es nie.

Das Interview führte Frieder Pfeiffer

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