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Tour-Profi Voigt "Gebt uns doch mal eine Chance"

Jens Voigt hat genug von den ständigen kritischen Fragen zu Doping im Radsport. Der Profi von CSC-Saxo Bank wettert im Interview mit SPIEGEL ONLINE gegen "billige Polemik", sieht seinen Sport als Opfer von Stimmungsmache - und meint, die Kontrollsysteme würden zu wenig gewürdigt.

SPIEGEL ONLINE: Herr Voigt, Sie waren von Journalisten zuletzt ziemlich genervt. Warum eigentlich?

Voigt: Ich hatte kein schlechtes Verhältnis zu den Journalisten, aber sehen Sie, ich bin ja kein Kopfmensch, sondern eher so ein Herz- und Bauchmensch. Ich war bestimmt acht Jahre lang ein netter Stichwortgeber, war immer für eine Schlagzeile gut, die Journalisten mochten mich gern dafür. Dann schlägt plötzlich alles um, wir stehen alle unter Generalverdacht und Du bekommst Fragen an den Kopf geknallt, wo man denkt, sag mal, wie kannst Du mir denn jetzt dermaßen an die Karre fahren?

SPIEGEL ONLINE: Was meinen Sie genau?

Voigt: Wenn jemand sagt, der Voigt gehört zur alten Generation, zur schmutzigen Generation, dann ist das beleidigend. Eine Frechheit. Nur weil ich ein älterer Fahrer bin, heißt das doch nicht, dass ich automatisch gedopt habe, vor zehn oder 15 Jahren.

SPIEGEL ONLINE: Sie könnten es jetzt zugeben, es wäre verjährt - wie bei Erik Zabel.

Voigt: Es war aber nicht so. Diese Vorwürfe sind eine billige Polemik.

SPIEGEL ONLINE: Sie verstehen aber schon, dass Journalisten angesichts all der Dopingfälle und Geständnisse kritisch nachfragen, oder?

Voigt: Ich war vielleicht etwas naiv. Viele Reporter waren über Jahre immer sehr freundlich und haben einem auch mal auf die Schulter geklopft. Was mich am meisten enttäuscht hat, war, das plötzlich alles über einen Kamm geschoren wurde. Alles war negativ, negativ, negativ.

SPIEGEL ONLINE: Weil zu viele Dopingtests positiv waren.

Voigt: Wenn jemand positiv getestet wurde, dann ist das doch ein Erfolg! Das heißt doch, das Kontrollsystem funktioniert und hat keine Lücken. Aber so schreibt das niemand. Vor ein paar Monaten waren elf von 14 Gewichthebern der griechischen Olympiamannschaft positiv. Da habe ich keine so großen Schlagzeilen in "Bild", der "Süddeutschen Zeitung" oder bei SPIEGEL ONLINE gesehen.

SPIEGEL ONLINE: Dopingfälle und Verdächtige in anderen Sportarten werden in seriösen Medien genauso erwähnt. Warum sehen Sie sich denn bloß in so einer Opferrolle?

Voigt: Sicher, die werden erwähnt - aber nicht mit einem solchen Aufschrei. Und vor allem: Der Radsport wurde eine ganze Zeit automatisch mit Doping gleichgesetzt. Wenn man etwas gelesen hat: Radsport, Doping. Radsport, Doping. Radsport, Doping. Das gibt es doch bei keiner anderen Sportart, egal wie viele Athleten da positiv getestet werden. Leute, gebt uns doch mal eine Chance.

"He Papa, wer ist das denn?"

SPIEGEL ONLINE: Am Montag gab es eine dramatische Etappe bei der Tour de France, am Ende ist Cadel Evans mit einer Sekunde Vorsprung ins Gelbe Trikot gefahren. Trotzdem berichten am Tag danach viele Zeitungen vor allem über die zweifelhafte Vergangenheit des Italiener Riccardo Riccò ...

Voigt: ... ich verstehe, dass so etwas beleuchtet wird, und Ihre Kollegen erzählen mir ja auch immer, der Leser habe ein Anrecht darauf, die Wahrheit zu erfahren.

SPIEGEL ONLINE: Ist doch kein schlechter Grundsatz.

Voigt: Ja, aber nach der Etappe gestern würde ich lieber Evans als große Geschichte und Riccòs Vergangenheit als kleineres Stück in der Zeitung sehen. Ich finde, die Wertigkeit stimmt da nicht, die Perspektive ist falsch. Das heißt übrigens nicht, dass meine Haltung gegen Doping jetzt aufgeweicht ist. Ich muss ja immer aufpassen, was in meine Aussagen reininterpretiert wird.

SPIEGEL ONLINE: Glauben Sie wirklich, dass die Kontrollsysteme lückenlos sind?

Voigt: Sie sehen ja, dass Manuel Beltrán gerade erwischt wurde. Das hat mich überrascht, weil eigentlich niemand mehr so dumm sein kann, um es zu versuchen. Aber ich denke, das war ein Einzelfall. Der wird jetzt zwei Jahre gesperrt, den sehen wir nie wieder, und damit ist die Sache erledigt.

SPIEGEL ONLINE: Ein Einzelfall? Die französische Antidopingagentur hat bereits 20 weitere Fahrer mit auffälligen Werten ausgemacht.

Voigt: Dazu kann ich nichts sagen, bislang ist da ja nichts weiter gekommen. Was mein Team CSC-Saxo Bank betrifft, haben wir ja sowieso absolute Transparenz in unserem Antidopingprogramm. Wir haben im zweiten Jahr in Folge alle Blutwerte im Internet veröffentlicht. Nehmen wir mich mal als Beispiel. Mein Hämatokritwert schwankt zwischen 44 und 47, da kann sich jeder dort ein Bild davon machen, was normal ist. Übrigens: Mit dem Dopingexperten Rasmus Damsgaard haben wir einen der schärfsten Kritiker unseres Teamchef Bjarne Riis als Kontrolleur geholt.

SPIEGEL ONLINE: Gerade Damsgaard hat aber vor der Tour gesagt, dass die gängigen Tests, die auch bei der Tour zum Einsatz kommen, womöglich nicht ausreichen, um alle Formen von Doping mit Epo zu erkennen.

Voigt: Dann kann er bei uns daran arbeiten, dass sich das ändert. Wir machen alle üblichen Tests und geben noch extra Proben ab, um neue Tests zu überprüfen und weiter zu vergleichen. Wir machen Überkreuzvergleiche, um das Verhältnis von roten Blutkörperchen zu diesen und jenen Werten zu messen. Der biologische Pass des Weltverbandes UCI ist nur eine kleinere Kopie von unserem Programm.

SPIEGEL ONLINE: Es gibt einige Kritik an diesen internen Programmen. Man könnte sie auch benutzen, um sich gezielt an Grenzwerte heranzudopen.

Voigt: Das sagen nur Leute, die ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben und halb informiert sind. Es läuft doch so: Die Tests werden durchgeführt, dann gehen sie an ein von der Weltantidoping-Agentur geprüftes Labor, von da an die UCI. Das heißt, die bekommen die Werte zuerst, dann werden sie an den Leiter unseres Dopingprogramms, an Rasmus Damsgaard, geschickt, und wir selbst bekommen es als Letzte. Wir haben keine Möglichkeit, da etwas zu manipulieren.

SPIEGEL ONLINE: Aber ist es nicht seltsam, dass Teams ihre Tester selbst bezahlen? Wo ist denn da die Unabhängigkeit?

Voigt: Wir geben zwei Prozent unserer Preisgelder für den Antidopingkampf. Das macht keine andere Sportart auf der Welt. Spricht das jetzt gegen uns? Wir sind nicht die Einzigen, die dieses Programm finanzieren, das ja sowieso zusätzlich zu den Kontrollen der Verbände läuft. Aber es ist egal, wer da wie viel bezahlt: Es ist kein teaminternes Programm, wir können nicht unsere Hand auf die Ergebnisse halten. Außerdem: Wir haben zwei Fahrer für dieses Programm geopfert.

SPIEGEL ONLINE: Weil die auffällige Werte hatten?

Voigt: Klar, dass Sie das meinen. Nein. Wir hatten vorher 30 Fahrer, jetzt sind es nur noch 28. Das Geld, das wir da rein packen, hat zwei Fahrer ihren Job gekostet. Wir meinen es wirklich ernst. Was sollen wir auch noch mehr machen? Wir Fahrer hatten ein Gesundheitsbuch, wir bekommen den Blutpass, wir haben uns bereit erklärt, DNA-Proben abzugeben.

SPIEGEL ONLINE: Finden Sie das nicht gerechtfertigt?

Voigt: Ich will mich gar nicht beschweren. Ich sehe ein, dass diese Kontrollen durch die Dummheit einiger Kollegen absolut notwendig sind. Aber es scheint mir manchmal schon absurd.

SPIEGEL ONLINE: So kontrolliert zu werden?

Voigt: Die Situationen, die dann entstehen. Die Kontrolleure kommen immer zu zweit und dürfen mich nicht aus den Augen verlieren. Ich habe mein Lizenz im Keller liegen, die muss ich dann holen, und dann Dackeln die da immer mit runter. Einmal kamen die nach dem Training und ich war gerade beim Grillen im Garten und da konnte ich nicht gleich pinkeln. Und da saßen die bei uns eine Stunde am Tisch. Das ist natürlich eine komische Situation. Die Kinder fragen: He Papa, wer ist das denn?

SPIEGEL ONLINE: Was sagen Sie dann?

Voigt: Ich versuche es zu erklären. Aber wissen Sie, was ich mir wünsche?

SPIEGEL ONLINE: Sagen Sie es uns.

Voigt: Dass dieser ganze Aufwand mal gewürdigt wird.

Das Interview führte Jörg Schallenberg