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Interview mit Jan Ullrich "Muss daheim ausziehen"

Mindestens zwei Jahre noch will Jan Ullrich als Kapitän des T-Mobile-Team Radsport auf höchstem Niveau betreiben. Auch für 2005 hat der 31-Jährige die Tour de France als Saisonhöhepunkt ausgerufen. Egal ob sein Rivale Lance Armstrong startet oder nicht. Probleme bereitet Ullrich allerdings seine Krankheitsanfälligkeit.

Frage:

Herr Ullrich, im Winter haben Sie traditionell ihre Probleme. Wie ist Ihr derzeitiger Leistungsstand?

Ullrich: Man versucht im Dezember immer, so viele Kilometer wie möglich zu fahren. Ich hatte anfangs ja noch eine Lungenentzündung, deshalb bin ich auch erst zehn Tage später nach Südafrika gereist. Dort habe ich aber hart trainiert, und mehr als mehr kann man nicht machen. Wenn ich aber jetzt schnell fahren würde, dann würde ich ganz schnell wieder langsam fahren.

Frage: Ihr Idealgewicht haben Sie aber noch nicht erreicht, oder?

Ullrich: Das ist normal. Im Januar stimmt das Gewicht nie, die Muskeln laufen noch nicht so. Da tut es immer noch weh. Im Sommer, und nicht im Frühjahr, will ich in Topform sein.

Frage: Seit Monaten wird darüber spekuliert, ob Lance Armstrong an der Tour teilnimmt. Was glauben Sie?

Ullrich: Ich gehe davon aus, dass Lance starten wird. Für meine Vorbereitung ist das aber egal. Ich hätte es gerne, wenn er fährt. Lance gehört zur Tour einfach dazu. Für die Spannung wäre das gut. Jeder möchte ihn besiegen, ich natürlich auch.

Frage: Inwieweit beeinflusst Sie eine Tour-Teilnahme von Armstrong?

Ullrich: Ich will mich so gut vorbereiten, dass ich die Tour gewinnen kann, ob mit oder ohne Lance. Für mich ändert sich in der Vorbereitung nichts.

Frage: Und im Rennen?

Ullrich: Dann müssten sich alle von der Taktik her umstellen. US Postal hat bisher immer das Blatt in die Hand genommen und das Rennen kontrolliert.

Frage: Ist ein Tour-Sieg ohne Lance Armstrong weniger wertvoll?

Ullrich: Auch ohne Lance ist ein Toursieg nach wie vor das Größte, aber mit ihm ist es einfach schöner.

Frage: Wenn Armstrong nur die Klassiker fährt, wäre es dann nicht reizvoll, ihn dort zu schlagen?

Ullrich: Mein Highlight ist die Tour de France, generell der Sommer. Um die Frühjahrsklassiker zu fahren, hätte ich mich bereits im Oktober entscheiden müssen. Jetzt habe ich den anderen Weg eingeschlagen.

Frage: Wie sieht Ihr Rennprogramm in dieser Saison aus?

Ullrich: Ich kann mein Programm nicht gravierend ändern. Ich werde wieder später in die Saison einsteigen, beginnend mit der Murcia-Rundfahrt. Dann werde ich versuchen, über die Fünf-Tages-Rundfahrten in Schwung zu kommen. Bleibe ich gesund, sollte es dann im Mai auch mal möglich sein, beim Henninger Turm um den Sieg mitzufahren.

Frage: Sie sprechen Ihre Gesundheit an. Wie sehr beeinflusst Sie das bei der Rennplanung?

Ullrich: Ich plane jetzt schon ein bis zwei Krankheiten pro Jahr ein, damit ich der Form nicht mehr hinterher renne. Ich bin leider ein Mensch, der häufig krank ist. Es ist für mich eine schwierige Erfahrung, dass ich daheim ausziehen muss, wenn meine Tochter krank ist.

Frage: 2003 konnten Sie Armstrong Paroli bieten, 2004 nicht. Wo lagen die Unterschiede in der Vorbereitung?

Ullrich: 2003 durfte ich bis April keine Rennen fahren. Da hatte ich vier Monate Zeit, mich vorzubereiten, konnte selber mein Trainingsprogramm steuern. War ich zu schnell, habe ich Tempo raus genommen. Ging es mir gut, habe ich noch härter trainiert. Letztes Jahr war es ein Fehler, die Rennen im Frühjahr zu fahren. Da war ich noch nicht gut genug. Ich bin im roten Bereich gefahren und dadurch schlechter statt besser geworden.

Frage: Ist 2005 Ihre letzte Chance auf den Toursieg?

Ullrich: Zwei Jahre traue ich mir auf jeden Fall noch zu, bei der Tour de France vorne mitzufahren. Die Chancen werden aber immer geringer. Ich bin jetzt 31 Jahre alt. Es wird kein Jahr mehr geben, in dem ich lax daher fahre. Wenn ich vor acht Jahren so trainiert hätte wie heute, wäre ich mit größerem Vorsprung Toursieger geworden. Früher habe ich mich in drei Wochen in Form gebracht, dafür brauche ich heute drei Monate. Das Alter merkt man schon.

Aufgezeichnet von Stefan Tabeling, sid

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