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Radsport Wie Bahnsprinter Maximilian Levy den Sturz von Kristina Vogel erlebte

Maximilian Levy war einer der Ersten, die nach dem schweren Sturz von Kristina Vogel bei ihr gewesen sind. Wie hat ihn der Unfall verändert? Wie geht er heute mit den Gefahren in seinem Sport um?
Maximilian Levy

Maximilian Levy

Foto: picture alliance / Jens Büttner
Zur Person
Foto: picture alliance / Michael Deine

Maximilian Levy, 31, ist einer der erfolgreichsten deutschen Bahnradsprinter. Er ist vierfacher Welt- und fünffacher Europameister. Zudem startete er dreimal bei Olympischen Spielen, holte einmal Silber und zweimal Bronze. Er lebt mit seiner Ehefrau, der ehemaligen Radsportlerin Madeleine Sandig, und zwei Töchtern in Cottbus.

SPIEGEL ONLINE: Herr Levy, Kristina Vogel hat im Gespräch mit dem SPIEGEL (hier  können Sie das Gespräch nachlesen) und auch danach immer wieder betont, wie wichtig es war, dass Sie nach dem Unfall nicht von ihrer Seite gewichen sind. Sie selbst wiederum haben später gesagt, Sie hätten einfach nur funktioniert. Ist Beschäftigtsein die beste Art, mit so einem Schock umzugehen?

Levy: Ich weiß es nicht. Ich habe einfach das getan, was ich für richtig hielt. Ich habe mich zerrissen für die Leute drumherum, gerade die Jüngeren, weil ich mir denken konnte, wie schwer das auch für sie ist. Ich hatte in dem Moment zum Glück gerade genug Energie.

SPIEGEL ONLINE: Wann hat die Wucht des Unfalls und der Folgen Sie erwischt?

Levy: Da ich ganz nah dabei war, wusste ich ja sofort, was los war und habe daher auch keine Hirngespinste gehabt, was noch passieren kann. Es gab natürlich genug Leute, die in gutem Willen versucht haben, Hilfe anzubieten oder von neuen Studien sprechen, was man alles machen kann. Aber nach der Diagnose war klar: Da hilft uns leider erst mal gar nichts. Der Unfall selbst holt einen natürlich immer wieder ein, weil man ja auch immer wieder danach gefragt wird (lächelt). Er gehört jetzt auch zu meiner Geschichte, das kann man nicht trennen.

SPIEGEL ONLINE: Haben Sie sich für die Verarbeitung externe Hilfe geholt?

Levy: Ich habe schon mal mit einem Psychologen zusammengearbeitet. Da ging es um eine Enttäuschung nach einem Rennen. In diesem Fall habe ich dadurch, dass ich die Geschichte so oft aussprechen musste, keinen akuten Bedarf für mich gesehen. Für mich war die Frage: Habe ich Angst beim Radfahren, ja oder nein? Natürlich war der erste Gedanke, als ich sie da liegen gesehen habe: Okay, das kannst du nie wieder machen. Aber ich habe keine Angst beim Radfahren, ich kann nach wie vor mit 70 in die Kurve reinhalten.

SPIEGEL ONLINE: Wann sind Sie nach dem Unfall das erste Mal wieder auf die Bahn in Cottbus?

Levy: Direkt am Tag danach. Wir, die bei dem Unfall dabei waren, sind gemeinsam dahin gegangen, auf der Bahn hat dann am Ende jeder für sich gearbeitet, je nach Gefühl. Ich bin einfach nur eine halbe Stunde wie ein Irrer da rumgefahren. Ich habe wohl auch ein Schmerzbedürfnis gehabt, wollte einfach den Frust rausfahren. Und da ich ja nun sehr involviert war, alle Interviews zu mir gezogen habe, damit man die Jüngeren in Ruhe lässt, war das mal ein Moment der Stille für mich. So habe ich mich also ins Fahrradfahren geflüchtet.

SPIEGEL ONLINE: Tatsächlich sind Sie durch Vogels Danksagungen und Ihre Nähe zum Geschehen auch zum Teil der Geschichte geworden. Wie geht man damit um?

Levy: Das ist schon schwierig. Ich habe mir auch überlegt, wie lange ich das Spielchen noch mitspielen will. Natürlich sind die Leute wissbegierig, aber man muss da schon unterscheiden zwischen Sensationsgier und einer ernsthaften Unterhaltung darüber, was passiert ist und wie man das vielleicht in Zukunft verbessern kann. Ich bin von Anfang an nie gefragt worden, ob ich mit der Situation umgehen kann oder möchte. Ich musste es einfach, und so habe ich das jetzt seit einem halben Jahr auch gehandhabt. Schlimm finde ich, dass Kristina erst jetzt die Aufmerksamkeit und die Auszeichnungen bekommt, die sie aufgrund ihrer Erfolge längst verdient hätte.

Levy und Vogel mit ihren Goldmedaillen bei der Bahnrad-EM 2017

Levy und Vogel mit ihren Goldmedaillen bei der Bahnrad-EM 2017

Foto: Jens Büttner/ picture alliance / Jens Büttner/dpa-Zentralbild/dpa

SPIEGEL ONLINE: Angesprochen auf die Gefahren, die beim Bahnradsport mitfahren, heißt es häufig: Stürze gehören dazu. Verletzungen werden immer wieder mit einem lockeren Spruch kommentiert. Da heißt es nach einem Schlüsselbeinbruch schon mal: Jetzt bin ich auch endlich ein echter Radprofi. Ist Humor der Weg, mit der stets drohenden Gefahr umzugehen?

Levy: Da ist natürlich viel Sarkasmus dabei, weil man ja in der Situation gefangen ist. Ja, du hast dir das Schlüsselbein gebrochen, daran ändern kannst du aber doch nichts. Da kannst du eigentlich nur einen blöden Witz machen und sagen: Was soll's. Bei mir war es nach dem dritten Bruch der Spruch: Wollen wir nicht einen Reißverschluss reinmachen, dann können wir die Platten schneller wechseln? Das ist im Affekt schnell gesagt. Aber das ist nicht die ganze Wahrheit.

SPIEGEL ONLINE: Sondern?

Levy: Eine gewisse Gefahr ist beim Radfahren einfach dabei. Wenn zum Beispiel Ermüdung dazu führt, dass man unkonzentrierter wird und Fehler macht. Dann kann man nur hoffen, dass der Zweite den Fehler kommen sieht und ausweicht. Das ist das Risiko. Aber in der Regel kommen wir glimpflich dabei raus. Gefährlich wird es, wenn ich mit dem Rad draußen im Straßenverkehr unterwegs bin. Auf der Straße sehe ich das Auto halt nicht kommen, dessen Fahrer vergisst, dass wir keinerlei Knautschzone haben. Auf der Bahn kann man da noch eher reagieren.

SPIEGEL ONLINE: Stürze gehören also dazu. Aber so ein Sturz im engsten Freundeskreis, noch dazu mit so irreparablen Folgen, der muss doch die Sicht auf den Sport, das muss jemanden doch verändern.

Levy: Natürlich ist das sehr, sehr schwer. Aber auch da muss jeder seinen eigenen Weg finden, wie man damit umgeht. Der jüngere Sportler ist vielleicht in dem Moment geschockter, kann es dann aber vielleicht schneller abschütteln. Der ältere Sportler, so wie ich, funktioniert erst mal und stellt sich dann später die wichtigen Fragen. Fragen fürs Leben, die gar nicht so viel mit dem Radsport zu tun haben, sondern vielmehr: Was hat man eigentlich noch für Träume? Und dann denkt man: Vielleicht solltest du das auch einfach mal machen, statt immer zu sagen, dann und dann mache ich das alles. Das ist gerade der Prozess bei mir.

SPIEGEL ONLINE: Welche Träume sind das?

Levy: Da gibt es einige. Ganz oben steht, diese Zeit mit der Familie zu verbringen, statt zu sagen, ich muss Ende Februar zum 13. Mal zur WM und das Land vertreten. Ich habe das Land schon zwölfmal vertreten. Da liegen meine Prioritäten jetzt woanders (der Geburtstermin des dritten Kindes fällt mit der WM zusammen, Anm. d. Red.). Oder wenn man von materiellen Dingen spricht: Ich wollte immer mal ein Boot haben. Und nun habe ich mir mit einem Kumpel zusammen so ein Holzboot gekauft. Eine Plaue, 40 Jahre alt, führerscheinfrei, so ein ganz kleines Ding nur. Wenn ich den Kopf voll habe, fahre ich eine Stunde mit meinem kleinen Boot und dann ist die Welt wieder in Ordnung.

SPIEGEL ONLINE: Hilft es beim Umgang mit dem Unfall und den Folgen, dass Kristina Vogel so positiv mit ihrer neuen Lebenssituation umgeht?

Levy: Ich glaube, man muss da gut aufpassen, dass durch diesen Hype um ihre positive Einstellung nicht so eine Klatschwelle entsteht, dass die Leute das alles eigentlich nur noch toll finden. Es gibt auch andere Momente - und damit lernt sie nun umzugehen. Was aber beeindruckend ist: Durch die Art und Weise, wie sie damit umgeht, macht sie es den Leuten einfacher, auf sie zuzugehen. Das ist sehr stark von ihr, dass sie sich auf diese Art den Leuten öffnet und sagt: Hallo, hier bin ich, ich fahre jetzt halt statt zu laufen, aber ich bin die Gleiche und ihr könnt trotzdem mit mir reden. Das hat vielen geholfen, glaube ich - auch den Leuten, die da in Schockstarre waren.

Levy im März 2018

Levy im März 2018

Foto: imago/ZUMA Press

SPIEGEL ONLINE: Wo wir gerade von starken Frauen sprechen: Der Unfalltag war und ist ja nicht nur Ihr Geburtstag. Es ist auch der Tag, an dem Ihre Frau Madeleine erfahren hat, dass sie schwanger ist. Sie hat das dann zwei Wochen für sich behalten. Weil sie gespürt hat: Mein Mann kann gerade selbst eine gute Nachricht nicht verarbeiten?

Levy: Das war eine schwierige Situation. Es war nicht so geplant, dass an dem Tag die frohe Botschaft verkündet wird oder so. Am Ende des Tages hatte ich gar nicht mehr auf dem Zettel, dass sie überhaupt beim Arzt war. Das ist, als der Sturz passierte, alles gelöscht worden. Ich konnte mich noch mit ihr abstimmen, dass unsere beiden Mädels abgeholt werden. Aber das war es. Dann haben wir sofort diese Spendenaktion gestartet, was ein weitaus größerer Aufwand war, als wir abschätzen konnten, weil wir da unvorbereitet reingerannt sind. Es hat sich viel später erst ergeben, zur Ruhe zu kommen und über uns zu reden.

SPIEGEL ONLINE: Ihre älteste Tochter Tessa ist fast sechs, Mila drei. Haben sie nun mehr Angst um ihren Papa?

Levy: Kinder verarbeiten das ganz anders. Die beiden haben das alles natürlich mitbekommen, ohne dass sie je konkret wussten, was eigentlich passiert ist. Letztens fuhren sie in so einem Lauflernwagen umher. Die eine hat die andere geschoben und gesagt: Komm, wir machen das jetzt wie Kristina. Das war so ein Moment zum Lachen und zum Weinen zugleich. Ich habe Kristina davon ein Video geschickt und geschrieben: Meine Kinder wollen so sein wie du.

Anmerkung: In einer früheren Version des Artikels hieß es, dass Levy drei Töchter habe. Wir haben die entsprechende Stelle korrigiert.

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