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"Ich bin über mich selbst erstaunt"

Team Milram: Interview mit Erik Zabel (36)

"Ich bin über mich selbst erstaunt"

Erik Zabel

Fühlt sich wohl beim deutsch-italienischen Team Milram: Erik Zabel. imago

kicker: Herr Zabel, in Ihren Beinen stecken nunmehr 15 Radprofijahre. Gibt es eine Frage, die Sie nicht mehr hören können?

Erik Zabel: Klar! "Warum sind Sie nur Zweiter geworden?"

kicker: Haben Sie daran nicht selber Schuld? Ihnen wird nachgesagt, so siegbesessen zu sein, dass Sie sich kaum über Platz zwei freuen können.

Zabel: Im Prinzip ist es gut, ein Image zu haben. Dass es in dieser Form überzogen ist, steht auf einem anderen Blatt. Und natürlich muss ich in gewisser Form siegbesessen sein, sonst hätte ich als Sprinter gar nicht über so einen langen Zeitraum in der Weltspitze mitmischen können. Aber wenige Minuten nach dem Rennen habe ich es eigentlich bereits abgehakt.

kicker: Eigentlich? War das im September in Salzburg auch der Fall, als Ihnen Paolo Bettini hauchdünn den WM-Titel wegschnappte?

Zabel: Im ersten Augenblick war ich riesig enttäuscht - doch das hat sich sehr schnell gelegt. Bettini hatte am Berg mehrfach attackiert. Und dann besaß er am Ende noch die Kraft, den Spurt so durchziehen - es gewann der Beste.

kicker: Nach der Siegerehrung sagten Sie, dass Sie aufgehört hätten, wenn Sie Weltmeister geworden wären. Hätten Sie sich daran gehalten oder war dies eine Äußerung aus der Abteilung "unbedacht"?

Zabel: Es trifft beides zu. Ich wäre Paris-Tours gefahren, das Sechstagerennen in Dortmund wohl auch noch und hätte mich dann vom Profi-Radsport verabschiedet. Dass ich das damals in Salzburg aber so publik gemacht hatte, war ein Fehler. Von dieser Absicht wusste nämlich keiner. So mussten meine Teamleitung, die Vertreter vom Hauptsponsor wie auch einige Kollegen, die wegen mir zu Milram gingen, dies aus den Medien erfahren. Und das war nicht glücklich.

kicker: Der Januar 2006 stellte für Sie eine große Zäsur dar. Nach 13 Jahren beim Weltklasse-Team T-Mobile schlossen Sie sich der neu gegründeten, vergleichsweise kleinen deutsch-italienischen Equipe Milram an. Mitte der vergangenen Saison bezeichneten Sie dies als einen spannenden Schritt zurück zu den Wurzeln Ihrer Karriere. Wie fällt Ihr Urteil heute aus?

Zabel: Unverändert positiv. Dass hier alles eine Nummer kleiner, aber auch familiärer ist, empfinde ich weiterhin als angenehme Note. Es erinnert mich an die Anfangsphase beim Team Telekom, als wir zum Beispiel noch um jede Schraube, um jedes Trikot bei unseren Sponsoren kämpfen mussten. Der Reiz des vergangenen Jahres lag aber auch darin, dass ich auf meine alten Profitage noch viele neue Erfahrungen gemacht habe.

Alessandro Petacchi und Erik Zabel

Und es geht doch: Die beiden Top-Sprinter Alessandro Petacchi und Erik Zabel imago

kicker: Wie zum Beispiel beim Frühlingsklassiker Mailand-San Remo erstmals seit über einem Jahrzehnt nicht auf eigene Rechnung fahren zu können, sondern für Ihren Teamkameraden Alessandro Petacchi als Helfer zu fungieren. Wie schwer ist Ihnen das gefallen?

Zabel: Viele hatten ja geargwöhnt, dass die Konstellation Zabel/Petacchi nicht funktionieren würde. Doch mit dem Wechsel zu Milram war mir bewusst, dass ich hin und wieder für ihn fahren muss. Ich hatte und habe kein Problem damit, ihn als den Mann mit den schnellsten Beinen im Peloton anzuerkennen. Aber ich gebe gerne zu, dass ich doch über mich selbst erstaunt bin. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass mir dieser Rollenwechsel und damit das Ausknipsen des Egos so leicht fallen würde.

kicker: Sie fahren in einem Team, in dem nicht alles super durchorganisiert und streng vorgegeben ist. Genießen Sie eine neue Freiheit?

Zabel: Dass bei T-Mobile eine unglaubliche Rundumversorgung herrscht, stimmt. Es ist aber eines der größten Missverständnisse, dass die Öffentlichkeit T-Mobile als strengen Reglementierungsapparat wahrnimmt. Zumindest zu meiner Zeit war das Gegenteil der Fall. Da konnte jeder sehr lange tun und lassen, was er wollte.

kicker: Bei Milram ist das anders?

Zabel: Oh ja, unser Teamchef Gianluigi Stanga hat sehr klare Vorstellungen. Und er achtet penibel darauf, dass sie ohne die kleinste Abweichung umgesetzt werden. Und in Sachen Disziplin ist er deutscher als deutsch. Wer sich im Januar im Trainingslager zum Abendessen ein Glas Wein gönnt, dem wird vor versammelter Mannschaft der Marsch geblasen - egal ob Nachwuchsmann oder arrivierter Fahrer. Und er ist stets fordernd. Ich kann mich noch gut an unser erstes Rennen erinnern. Wir fuhren bei der Katar-Rundfahrt in der ersten Etappe auf den zweiten Platz, was für ein komplett neu formiertes Team ja beachtlich ist, zumal nur Tom Boonen schneller war. Stanga war allerdings gar nicht zufrieden - er fragte uns gleich, woran es lag, dass wir Boonen nicht schlagen konnten. Solche Töne hatte ich bei T-Mobile zu diesem Zeitpunkt der Saison nie gehört.

kicker: Bei T-Mobile soll sich dies nun ändern. Rolf Aldag, Ihr langjähriger Edelhelfer, hat sich als neuer Sportdirektor dieses Kurswechsels angenommen. Bringt er, der umgängliche Kumpeltyp, die nötige Härte dafür mit?

Zabel: Rolf ist eine Frohnatur, keine Frage. Aber man darf sich von seinem Lachen nicht täuschen lassen - wenn er etwas will, ist Schluss mit lustig. Er wird keine Probleme damit haben, seine Vorstellungen umzusetzen. Probleme werden aber die bekommen, die nicht mitziehen. Generell finde ich den von T-Mobile eingeschlagenen Weg richtig, sich ein neues Profil zuzulegen und das Augenmerk nicht mehr nur auf die Tour zu richten.

Erik Zabel bei der Siegerehrung

Wurde in seiner Karriere schon oft geküsst: Erik Zabel ist der nach Siegen erfolgreichste Radfahrer der Welt. imago

kicker: Wollte Ihr Freund Aldag Sie zurückholen?

Zabel: Wir haben einmal locker darüber gesprochen. Doch ein konkretes Angebot gab es nie. Auch weil er genau weiß, dass ich es nie annehmen würde. Der Hauptsponsor Milram hat um mich herum als einer der Hauptpersonen ein Team aufgebaut, neben Geld auch viel Vertrauen investiert. Da kann ich nicht nach einem Jahr sagen: "Schön wars, Jungs, aber ich gehe."

kicker: Bis Ende 2008 fahren Sie noch. Haben Sie die Hoffnung, dass der Radsport dann schon ein Stück weit aus seiner tiefen Krise ist?

Zabel: Die Hoffnung schon, auch wenn das Image derzeit katastrophal ist.

kicker: Ihre Zurückhaltung ist verständlich. Unmittelbar nach dem Fuentes-Skandal waren die maßgebenden Personen des Radsports noch wild entschlossen, ein allgemeingültiges Anti-Doping-Paket auf den Weg zu bringen. Die Realität: Der Fuentes-Skandal droht sich im Gerangel um Klauseln und Zuständigkeiten im Nichts aufzulösen. Oder erkennen Sie den viel beschworenen Neuanfang?

Zabel: Auf breiter Front nicht - national schon. Den Maßnahmenkatalog, den der Bund Deutscher Radfahrer mit den Teams Milram, T-Mobile und Gerolsteiner erarbeitet hat, ist ein Neuanfang. Ich habe immer gedacht, der Tiefpunkt ist erreicht, nun müssen alle ihre Eigeninteressen über Bord werfen - aber vielleicht muss ja noch ein Tiefschlag kommen.

kicker: Kann Ihr Sport das Doping-Problem überhaupt in den Griff bekommen?

Zabel: Es muss eine innere Einsicht auf breiter Front erfolgen, sonst können alle Regeln oder Maßnahmen nur bedingt greifen. Viel wäre bereits gewonnen, wenn die Fahrer ihre Grenzen akzeptieren würden.

kicker: Wie fällt Ihr persönliches Fazit der Saison 2006 aus?

Zabel: Im Großen und Ganzen positiv. Vor allem mit dem letzten Saisondrittel bin ich sehr zufrieden. Ich habe bei der Vuelta zwei Etappen gewonnen, und auch meinen zweiten Rang bei der Weltmeisterschaft werte ich als großen Erfolg.

kicker: Welche Schwerpunkte setzen Sie sich für die neue Saison?

Zabel: Eigentlich die gleichen wie 2006. Mailand-San Remo wird der erste Saisonhöhepunkt sein, bei der Tour de France versuche ich, im Kampf ums Grüne Trikot ein Wörtchen mitzureden. Dann steht die Vuelta an, bei der ich meine Bilanz von diesem Jahr wiederholen und mich gleichzeitig für die WM in Stuttgart in Form bringen möchte.

kicker: Sie haben die sehr schwere, nicht gerade sprinterfreundliche WM-Strecke in Stuttgart ironisch als einen prima Kurs für die Italiener bezeichnet.

Zabel: Es wird meine letzte WM im eigenen Land sein. Und da habe ich schon gehofft, dass der Kurs mir mehr auf den Leib geschneidert wird - wie das eben in anderen Ländern seit jeher gehandhabt wird.

kicker: Haben Sie überhaupt Siegchancen auf diesem Kurs?

Zabel: Ich würde das wie folgt formulieren: Ich muss in absoluter Top-Form sein, um vorne dabei sein zu können, wenn es auf die Ziellinie zugeht.

Ich will mit Jan Ullrich mal über alte Zeiten quatschen.

Erik Zabel

kicker: Sie hatten einmal gesagt, dass Sie nach dem Ende Ihrer Karriere mit Jan Ullrich gerne eine lockere Radrunde auf Mallorca drehen würden, um sich auszusprechen. Haben Sie einen Termin vereinbart, nun, da sich Ihre Karriere auf der Ziellinie befindet?

Zabel: Nein, denn ich weiß ja gar nicht, ob Jan nach seiner Karriere überhaupt noch aufs Rad steigt. Aber im Ernst: Die Unstimmigkeiten zwischen uns über die Nominierung des Tour-Teams 2005 sind Vergangenheit. Und ich hoffe, dass wir uns irgendwann einmal treffen, um in entspannter Atmosphäre über die alten Zeiten zu quatschen.

kicker: Sie sind in der vergangenen Saison rund 46.000 Kilometer gefahren, was selbst für einen Radprofi eine enorm hohe Zahl ist. Sie sammeln Räder, schrauben in Ihrer raren Freizeit daran herum - vieles ist vorstellbar, aber dass der "Fahrradjunkie" Zabel nach seinem Karriereende nicht mehr aufs Rad steigt, garantiert nicht.

Zabel: Als "Fahrradjunkie" sehe ich mich nicht. Es kann gut sein, dass ich meine Räder in ebay verkaufe. Dass ich aber nach 2008 mit dem Radfahren komplett aufhöre, kann ich mir auch nicht vorstellen. Das wird dann so aussehen: 60 Kilometer, immer ohne Tacho und immer mit Cappuccino-Pause.

Interview: Christian Biechele