Monsieur Fignon, was machen sie heute?
Ich bin Sportkommentator für France Télévision. Außerdem habe ich ein Buch über meine Laufbahn geschrieben: "Nous étions jeunes et insouciants" (Wir waren jung und sorgenlos). Gerade jetzt bin ich auf dem Weg zu einer weiteren Etappe der Tour de France. Ich bleibe halt dem Radsport treu.
Wenn Sie die jungen Fahrer von heute sehen: Könnten Sie oder ein anderer Champion der 1980er Jahre da noch mithalten? Oder hat sich ihr Sport verändert?
Der Sport hat sich auf jeden Fall verändert. Aber die Leistungen der besten Fahrer meiner Zeit stehen nicht in Frage. Wir könnten bei der Tour mithalten. Die Anzahl der wirklich großen Fahrer bleibt quer durch die Jahrzehnte mehr oder minder gleich. Das Mittelfeld hingegen ist heute stärker. Allerdings war zu meiner aktiven Zeit die Medienaufmerksamkeit geringer und es gab weniger Sponsorengelder.
Es ist schon länger her, dass wir einen Franzosen in Paris auf der Siegertreppe gesehen haben. Geht es mit dem Radsport in Frankreich bergab?
Ja, unglücklicherweise. Wir Franzosen gewinnen heute Etappen, aber keine Rennen. Einen echten Champion haben wir nicht mehr. Man kann sogar sagen, dass die jungen Franzosen noch keine Radrennen fahren können, wenn sie Profi werden.
Woran liegt das?
Eine Zeit lang wurde schlicht und einfach falsch trainiert. Unter Verbandspräsident Daniel Balle wurde der Sport auf eine andere Basis gestellt. Die Elite wurde gefördert, die Basis vernachlässigt. Doch ohne Basis kann es keine zukünftige Elite geben. Hinzu kommt, dass es in Frankreich 1998 den "Fußball-WM-Effekt" gab: Die simple Tatsache, dass wir die WM gewannen, hat alle jungen Leute zum Fußball gezogen.
Wenden sich die Franzosen ohne eigenen Champion von der Tour de France ab?
Bei France Télévision verzeichnen wir höhere Einschaltquoten, wenn mal ein Franzose gewinnt. Ansonsten ist die Tour vor allem ein großer internationaler Event, das Interesse ist nach wie vor groß.
Kann Lance Armstrong noch einmal gewinnen?
Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht.
Aber einen Favoriten werden sie doch haben?
Alberto Contador! Ein großer Champion, nicht nur, was die Leistung der Beine betrifft. Er ist willensstark, bewahrt Ruhe, hat einen klaren Kopf. Bei den letzten Etappen haben viele Fahrer geklagt, dass es Gegenwind gab, dass der Pulk zu dicht war. Contador klagt nicht, sondern greift im Zweifelsfall lieber an. Ein Champion kennt keine Angst.
Ist der Radsport sauberer als in den vergangenen Jahren? Wird weiter gedopt?
Ich denke, die Radrennfahrer haben begriffen, dass es so wie in den vergangenen Jahren nicht weitergehen konnte. Gleichzeitig haben sich Analysen und Kontrollmethoden verfeinert. Gerade die jungen Fahrer sind überall sauberer geworden. Mit weiteren Dopingskandalen hätten wir den Sport gegen die Wand gefahren. Andererseits sollte Doping nicht nur im Radsport bekämpft werden. Viele Athleten erwischt man, weil es Kontrollen gibt. Aber wer kontrolliert z. B. den Fußball, eine Sportart wo viele Menschen unter dreißig an Herzinfarkt sterben? Damit will ich die Sünden der Radrennfahrer nicht entschuldigen. Aber Kontrollen werden überall gebraucht. Auch ich habe, genau wie die anderen Fahrer, damals gedopt, mit Kortison und Amphetaminen. Das sage ich auch offen in meinem Buch.
"Wir waren jung und sorglos"...
Ja. Das waren wir. Es gab weniger Druck im Radsport. Weniger Medienpräsenz. Aber auch weniger Geld. Und abends haben wir gefeiert statt geruht. In meinem Buch wollte ich dem Leser einen Radsport zeigen, den er so nicht kennt, wollte noch mal die Sportler beschreiben, die ich getroffen habe, ein realistisches Bild "meiner Zeit" zeichnen, mit allem, was dazugehört: den Freunden, den Festen, den Mädchen aber auch dem Doping.
Das klingt nach guter alter Zeit...
...unser Radsport war komplett anders. Nicht, was die Leistungen und die Leistungsbereitschaft betrifft. Aber die Menschen, die Umgebung, die Medien, das alles hat sich verändert.